Ein Dorf wird Gemeinde

Aus dem Heimatkalender des Landkreises Birkenfeld 1993 von Jürgen Middel

Das Dorf Langweiler und seine religiösen Bräuche

Der 1. 1. 1992 wurde zum größten Tag des Dorfes Langweiler. Der bisherige Ortsteil der Gemeinde Sensweiler wurde eine eigenständige Gemeinde. Nach dem Neujahrshochamt trafen sich im Pfarrheim der katholischen Kirchengemeinde St. Niketius viele Männer und Frauen, Jugendliche und Kinder aus dem bisherigen Ortsteil Langweiler, um die Unabhängigkeit der neuen Gemeinde Langweiler zu begrüßen und zu feiern. Bürgermeister Hey von der Verbandsgemeinde Herrstein war gekommen, um die neue Gemeinde Langweiler zu proklamieren. Ein langgehegter Wunsch war in Erfüllung gegangen. Langweiler war eine selbständige Gemeinde.

Es geht hier nicht darum, die einzelnen Schritte und Erfolge und Mißerfolge des Bemühens um die Gemeindewerdung Langweilers darzulegen. Es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, warum es berechtigt ist, daß Langweiler nach vielen Jahren des Bemühens nun endlich eine eigene Gemeinde geworden ist, was Langweiler in der Vergangenheit berechtigt hat, nach der Eigenständigkeit zu streben. Ein solches Streben kann in unserer Zeit, in der es gilt, große und lebensfähige Gemeinden zu bilden, die den "modernen" Bedürfnissen aller Bürger besser entsprechen, leicht als nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Auch gilt es, den Anschein zu vermeiden, daß der Bau des Bürgerhauses in Sensweiler, um dessen Berechtigung man durchaus streiten kann, der eigentliche Anlaß für die Verselbständigung Langweilers gewesen ist. Am Streit um den Bau des Bürgerhauses ist nur offenbar geworden, daß (hier) die sehr alte Gemeinde Sensweiler und ihr angegliederter Ortsteil Langweiler zwei grundverschiedene historische Gebilde sind, deren Zusammenwachsen wohl auf die Dauer nicht möglich gewesen ist. Der Verfasser bekennt gern, daß er von der Aufgabe, zum Zusammenwachsen der beiden Ortsteile beizutragen, fasziniert gewesen ist, daß er aber letztendlich eingesehen hat, daß die Verselbständigung des Ortsteiles Langweiler für die Zukunft aller Bewohner der bisherigen Gemeinde Sensweiler die beste Lösung ist, weil nur so eine gute nachbarschaftliche Zukunft möglich ist.

Nach der endgültigen Neuordnung der Kommunalgliederung in den neu erworbenen Gebieten Preußens nach dem Wiener Kongreß kam das Dorf Langweiler als Ortsteil zur Gemeinde Wirschweiler. Diese "Zwangsehe" stand nie unter einem guten Stern. immer fühlten sich die Einwohner Langweilers als "fünftes Rad am Wagen" der Gemeinde Wirschweiler. Entscheidend für dieses Gefühl war nicht nur der konfessionelle Unterschied Wirschweiler war ganz protestantisch, Langweiler war überwiegend katholisch, entscheidend war die feste Überzeugung, der größere Gemeindeteil Wirschweiler sehe allein seine Interessen und kümmere sich nicht um das "Anhängsel" Langweiler, das im Gemeinderat stets in der Minderheit war. Ältere Einwohner Langweilers, die noch Mitglieder im Gemeinderat Wirschweiler gewesen sind, bestätigen dies noch heute. Nach der Kommunalreform in Rheinland-Pfalz im Jahre 1969 wurde Langweiler Ortsteil der näher als Wirschweiler gelegenen Gemeinde Sensweiler. Vergeblich hatten sich Bürger aus Langweiler im Vorfeld der Kommunalreform darum bemüht, die Verselbständigung Langweilers zu erreichen. Man wähnte sich dem Ziel schon sehr nahe, doch das Ziel wurde nicht erreicht. Der frühere Beigeordnete der Gemeinde Sensweiler nach deren Neubildung 1969, Herr Karl- Heinz Uhl aus Langweiler, hat über diese Bemühungen eine umfangreiche Dokumentation angelegt, die in diesem Heimatkalender in geeigneter Form vielleicht einmal veröffentlicht werden kann. Eigentlich hätte das Scheitern all dieser Bemühungen zu einem endgültigen Aufgeben des Bestrebens um eine Verselbständigung Langweilers führen müssen. Daß es dazu nicht gekommen ist, ist ein Hinweis darauf, daß Langweiler doch etwas "Besonderes" unter den Dörfern des früheren Amtes Kempfeld am Hochwald ist. Welche sind und waren nun diese "Besonderheiten" Langweilers?

Langweiler ist und war ein ganz überwiegend katholisch geprägtes Dorf, in dem die katholische Mehrheit und die protestantische Minderheit eine lebensfrohe Gemeinschaft bilden; Ökumene ist hier eigentlich Selbstverständlichkeit. So haben die meisten Charakteristika Langweilers auch mit dem religiösen Brauchtum zu tun.

Wenn auch die kirchliche Eigenständigkeit Langweilers erst 1861 beginnt, so sind die Einwohner doch durch die Jahrhunderte nach der Reformation katholisch geblieben und haben für ihre Glaubensüberzeugung manches Schwere ertragen und manches Opfer bringen müssen. Der frühere Trierer Domdechant und Bischöfliche Offizial Dr. Philipp de Lorenzi schreibt 1887 in seinen "Beiträgen zur Geschichte sämtlicher Pfarreien der Diöcese Trier, Regierungsbezirk Trier" über Langweiler: "Der am 1. November 1861 zur Pfarrvikarie erhobene Ort Langweiler war 1803 zur Pfarrei Bischofsdhron geschlagen worden. Er kam mit den meisten seiner katholischen Filialen aus dem Erzbistum Mainz herüber. Nur Allenbach gehörte früher zum trierischen Dekanat Wadrill und war vor der Reformation eine kath. Pfarrei, zu welcher noch 1522 Markgraf Philipp von Baden (als Miterbe der Sponheimer) den Magister Adrian Bart als Pfarrer präsentiert hat. Von der jetzt protestantischen Pfarrei Schauren gibt uns Würdtwein (Dioc. Mog. 1,63.64) eine Nachricht aus längst vergangener Zeit. Anno 1386 resignierte Pfarrer Johann Alderwin auf die Pfarrei von "Schuren", und 1388 präsentierte der Wildgraf Otto in Kirburg den Pleban Hartmann zu Kirn. Außer Schauren haben noch die Filialen Allenbach und Sensweiler protest. Pfarrsysteme. Sie gehörten sämtlich zur Rhein- und Wildgrafschaft, welche um 1555 die neue Lehre angenommen hat. Nur Langweiler und Allenbach zählen noch heute beträchtlich viele Katholiken. Der im Jahre 1861 zur Pastorierung der Katholiken in der Diaspora von Langweiler entsandte Pfarrvikar Wilh. Schamel mußte 1876 wegen Altersschwäche zurückgezogen werden und hat bis jetzt noch keinen Nachfolger gefunden."') De Lorenzi unterlaufen hier zwei Fehler: Erstens: 1861 wurde Langweiler nicht Pfarrvikarie und damit von Bischofsdhron unabhängig, Langweiler wurde nur eine Vikarie im Rahmen der Pfarrei Bischofsdhron. Erst mit Urkunde des Bischöflichen Generatvikariates vom 1. März 1946 wurde Langweiler zu einer eigenen Kirchengemeinde erhoben. Zweitens: In Allenbach dürften vor 1887 nicht "beträchtlich viele Katholiken" gelebt haben, denn nach den folgenden Handbüchern für das Bistum Trier war die Zahl der Katholiken in Allenbach genauso verschwindend gering wie in den anderen Filialen. 1938 lebten z.B. in-Allenbach 12 Katholiken unter einigen Hundert protestantischen Einwohnern. Die Pfarrgemeinde Langweiler mit ihren Filialen ist also eine Diasporagemeinde, der Ort Langweiler selbst ist aber ganz überwiegend katholisch geprägt und spielt so unter den Orten des früheren Amtes Kempfeld eine Sonderrolle. Wie sah nun das Leben in einem solchen "katholischen" Dorf aus? Der frühere Vikar von Langweiler Matthias Weiland (1942-1947) hat für das Dekanatskapitel 1943 des Dekanats Bischofsdhron einen Vortrag "Religiöse Volksbräuche im Dekanat Bischofsdhron" zusammengestellt, den er am 21. Juni desselben Jahres gehalten hat. An diesen Vortrag angelehnt, möchte ich nun zeigen, wie das Leben in Langweiler damals ausgesehen hat und wie es zum Teil auch heute noch von alten Bräuchen geprägt ist, wie sich Langweiler von den Nachbargemeinden unterscheidet und als selbständige Gemeinde seine Eigenart auch bewahren soll. Drei Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen.

Langweiler gezeichnet 1874 von Kaspar Hebler aus Bausendorf, Schulverwalter in Langweiler 1873-75.

Das religiöse Brauchtum in der Pfarrkirche und in ihrem Umkreis.

Fast alle Kirchen im früheren Dekanat Bischofsdhron haben sehr alte Patrone. Patron der Pfarrkirche in Langweiler ist der hl. Niketius, der in die Reihe der ältesten fränkischen Bischöfe Triers gehört. Er stammte aus Reims aus einer angesehenen Familie und war von 525 bis ca. 566 Bischof von Trier. Seine Vita wurde von Gregor von Tours verfaßt und ist die älteste Vita eines rheinischen Heiligen. Noch heute findet die Kirmes in Langweiler am 1 . Sonntag im Oktober statt, Gedenktag des hl. Niketius

Ihrem Friedhof widmen die Langweiler eine liebevolle Pflege. Der Friedhof ist noch ein echter Kirchhof rund um die Pfarrkirche, nicht Ausdruck einer hoffnungslosen Trauer, sondern Ausdruck einer frohen Hoffnung auf die Auferstehung. Unter großen Opfern haben die Langweiler den Friedhof in seiner jetzigen Form in den Jahren 1938/ 40 angelegt. Für jede Familie ist es auch heute selbstverständlich, einmal wöchentlich zu kommen und die Gräber zu pflegen und zu besuchen und an der allgemeinen Friedhofspflege mitzuwirken. Kinder gehen ganz ohne Scheu über den Friedhof, um an den Gräbern zu beten, bisweilen auch um zu spielen. So wird ihnen früh bewußt, daß der Tod Teil eines jeden Lebens ist, und die heute oft zu beobachtende Verdrängung des Todes geschieht nicht. Gibt es einen Todesfall in der Gemeinde, so versammeln sich die meisten Einwohner auch heute noch zum dreitägigen Rosenkranzgebet vor der Beerdigung.

Einen Bildstock mit der Muttergottes gibt es am Rand der Forstwiese. Oft stehen dort Blumen und Kerzen. Insbesondere ältere Leute gehen dorthin, um ihre Sorgen der Fürbitte der Gottesmutter zu empfehlen. An einem der drei Bittage, den Tagen vor Christi Himmelfahrt, macht die Pfarrgemeinde ihre offizielle Bittprozession zum Bildstock. Betete man früher vor allem um den Segen für die kommende Ernte, so betet man heute um Gottes Segen für alle Arbeit und für das Wohlergehen aller Menschen. In den Monaten Mai und Oktober wird jeden Abend der Rosenkranz in der Pfarrkirche gebetet; im zweiten Weltkrieg betete man ihn das ganze Jahr hindurch für eine glückliche Heimkehr der Soldaten.

Das Tischgebet ist noch in den meisten Familien Brauch, wenn auch seine Form sich geändert hat. Früher war es das Vaterunser mit dem Gedenken an die Toten der Familie und dem Zusatz: "Der süße Name Jesu und seiner lieben Mutter sei gebenedeit von nun an bis in Ewigkeit! Es segne uns mit ihrem Sohn die allerseeligste Jungfrau Maria! Amen!"

Neugebaute Häuser werden meistens kirchlich eingesegnet. Solange das Brot noch selbst gebacken wurde, war es üblich, vor dem Backen mit einem Messer ein Kreuz in den Teig zu machen, das man nachher auf der Brotkruste sehen konnte. Nicht mehr geübt wird die feierliche Teilnahme der ganzen Pfarrgemeinde bei einer Taufe. Verschwunden sind auch das Betglockläuten, bei dem die Kinder die Häuser aufsuchen mußten, und der öffentliche Versehgang, wenn jemand im Sterben lag. Geblieben ist in Langweiler das "Wegläuten" bei der Überführung eines Verstorbenen in die Leichenhalle an der Kirche. Wo die Menschen sich auch gerade befinden, beim Hören des Wegläutens sollen sie für den Verstorbenen 

beten. Kann es einen sinnvolleren Ausdruck für die lebendige Gemeinschaft der Lebenden und der Toten geben? Einige Familien machen auch heute noch ihre jährliche Familienwallfahrt zur Muttergottes nach Klausen. Geblieben sind auch die Jubiläen zum 25., 50., 60., 65. und 70. Erinnerungstag der Erstkommunion. Oft kommen die ehemaligen Kommunionkinder von weither, um dieses Jubiläum in Langweiler zu verbringen. Selbst viele, die sich im Laufe ihres Lebens von der Kirche entfernt haben, kehren zu diesem Festtag zurück. Vielen mögen heute diese Bräuche fremd erscheinen. Was sollen sie in einer Welt der Technik und der Säkularisation und des Wertewandels. Ich bin der Meinung, daß diese Bräuche den Menschen Sicherheit gegeben haben, Sicherheit nicht im Sinne einer Vertröstung auf das jenseits, wie man heute so oft hört, Sicherheit vielmehr im Sinne einer Geborgenheit in Gott, aus der man immer wieder für sich und andere neue Tatkraft geschöpft hat. Sicher muß manches an diesen Traditionen umgestaltet und neu bedacht werden, dann aber können sie auch heute einer Dorfgemeinschaft Leben geben und verhindern, daß jeder nur an sich selber denkt.

ist der 3. Oktober. Höhepunkt der Kirmes sind das feierliche Kirmeshochamt zu Ehren des Patrons am Sonntag und das feierliche Requiem für alle Verstorbenen am Abend des Kirmesmontags. Zwei eigene Niketiuslieder zeugen von der Verehrung für den Kirchenpatron.

Das religiöse Brauchtum im Jahreslauf.

Wenn auch viele religiöse Bräuche im. Jahreslauf verschwunden sind oder sich infolge des Zeitenwandels verändert haben, so ist doch mancher Brauch geblieben, der auch heute noch die Menschen durch das Jahr geleitet.

In den meisten Familien wird der Adventskranz aufgehängt. Die Werktagsmessen in der Adventszeit sind besser besucht als in der normalen Zeit des Kirchenjahres, man will sich auf das Weihnachtsfest, das nicht nur ein Fest der Geschenke sondern noch ein richtiges Christfest oder wenigstens ein großes Familienfest ist, vorbereiten. Am 4. Dezember schneiden viele Frauen "Barbarazweige" von den Kirschbäumen und bringen sie in Vasen bis Weihnachten zum Blühen. Eine alte sinnige Deutung sagt dazu: "Wie die Zweige im Winter sprossen und blühen, so ist ein Ros' entsprungen aus einer Wurzel zart!". Der 6. Dezember ist für alle Kinder des Dorfes ein großer Tag. Der hl. Nikolaus kommt in die Steinbachschenke oder in das Pfarrheim, um "die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen". In den Tagen vor dem Weihnachtsfest werden die Krippen hergerichtet, oft kunstvolle Naturkrippen. In der Pfarrkirche wird die große Weihnachtskrippe seit langer Zeit unter der "Federführung" der Familie Alsfasser aufgestellt. Während des letzten Weltkrieges haben stets die gerade anwesenden Urlauber die Krippe gebaut. Fester Brauch in Langweiler ist die Segnung der Kinder am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder. Selbstverständlich ist das Einläuten des neuen Jahres um Mitternacht des Sylvestertages mit einem kurzen Gebet in der Kirche. Früher gingen die Kinder am Neujahrstag zu ihren Paten, die "Naujoaren" holen. Dabei sagten sie kleine Sprüche wie: "Viel Glück im neuen Jahr! Lang sollt ihr leben, glückselig sollt ihr sterben, den Himmel sollt ihr erben!". An "Dreikönig" findet heute die Sternsingeraktion statt; früher gingen die Meßdiener als "Könige" durchs Dorf, um eine kleine Anerkennung für ihren Dienst zu erbitten. An Mariä Lichtmeß werden die Kerzen für die Kirche gesegnet und eine feierliche Lichterprozession findet statt. Viele Familien lassen dabei auch Kerzen für den Hausgebrauch segnen. Erhalten hat sich auch der Brauch des Blasiussegens am 3. Februar. Die Menschen bitten Gott um seinen Schutz vor Halskrankheiten auf die Fürbitte des hl. Bischofs Blasius, der nach einer alten Legende einen jungen vor dem Erstickungstod infolge des Verschluckens einer Fischgräte gerettet haben soll.

Mit dem Aschermittwoch beginnt die jährliche Fastenzeit. Viele kommen in die Kirche, um das Aschenkreuz zu empfangen. "Gedenke Mensch, daß du Staub bist, und zum Staube kehrst du zurück". An Palmsonntag bringen die Menschen einen "Palmstrauß" mit zum Gottesdienst und dieser wird gesegnet. Früher gingen die Menschen nach dem Hochamt auf den Friedhof und am Nachmittag auf die Felder, um gesegnete

Ein neues Fest ist auch in den 70er Jahren entstanden, das "Sommerfest rund um die Kirche" am letzten Sonntag im Juni. Es dient besonders der Pflege der Beziehungen zu 'den zivilen Nachbargemeinden und zu befreundeten Vereinen. Die Kirchengemeinde ist zwar Träger des Festes, alle Bewohner Langweilers sind aber dabei und gestalten aktiv mit. Als letztes der großen Feste folgt am 1. Oktobersonntag die Dorfkirmes zu Ehren des Kirchenpatrons St. Niketius, über die oben schon berichtet worden ist. Am Allerheiligentag versammelt sich das ganze Dorf am Nachmittag auf dem Friedhof zum Totengedenken, bei dem nach einer Andacht mit Ansprache die Gräber gesegnet werden. Festlich gestalten die Kinder unter Anleitung einiger Mütter auch den jährlichen Martinszug, der aber nicht nur ein Lichterzug ist, St. Martin wird vielmehr als Vorbild für das eigene Leben erfahren.

Verschwunden ist die Sonntagschristenlehre, die man in Langweiler bis zum 21. Lebensjahr besuchen mußte.


Manche mögen heute diesen oder jenen Brauch belächeln oder ihn gar mit Aberglauben - die Gefahr des Aberglaubens ist stets gegeben, und es ist eine der vornehmsten Aufgaben eines Geistlichen, den Aberglauben zu bekämpfen - in Verbindung bringen. Diese Bräuche haben aber in der Vergangenheit die wichtige Funktion der Gemeinschaftsbildung gehabt und haben sie, recht und tolerant ausgeübt, in den heute meist konfessionell gemischten Gemeinden immer noch. Sie geben einer Dorfgemeinschaft Identität.

124 Palmzweiglein in den Boden zu stecken. In Langweiler gibt es heute noch die Palmprozession um die Kirche, allerdings nicht mehr den Brauch, gesegnete Palmen auf ein auf dem Friedhof liegendes Kreuz zu werfen, das dann nach dreimaligem Umgang um die Kirche vom Priester zum Hochaltar getragen worden ist. Fester Brauch ist es aber noch in vielen Häusern, Kreuze und Weihwasserkessel mit Palmen zu schmücken. An Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag schweigen die Glocken. Die Menschen haben früher gesagt, "die Glocken sind nach Rom beichten", sie schweigen zum Zeichen der Trauer über das Erlöserleiden- und sterben. An diesen Tagen rufen die Meßdiener die Gläubigen mit kleinen Holzklappern, "Kleppern" oder "Raspeln" genannt, zum Gottesdienst und zeigen Morgen, Mittag und Abend an. Interessant sind die Sprüche, die dabei gerufen werden. An Karfreitag heißt es: "Betglock! Danket Gott, der für uns ging in den Tod", vor der Auferstehungsfeier: "Ihr lieben Leute stehet auf und eilt zum heiligen Grab hinaus - (die Kirche in Langweiler liegt auf der Höhe) – das erste Mal! das zweite Mal! Zusammen!" Nach den Ostertagen ziehen dann die Meßdienerinnen und Meßdiener durch das Dorf und sammeln zum Dank für das "Kleppern" Ostereier, Geld und andere Geschenke, die streng nach Beteiligung am "Kleppern" verteilt werden. Im Mittelpunkt des Osterfestes steht die Auferstehungsfeier mit dem neuen Osterfeuer. Fast verschwunden ist mit dem Rückgang der Ohrenbeichte der Brauch der "Beichteier". jedes "Beichtkind" hat dem Pastor nach Ostern zwei "Beichteier" zu bringen. (In den ersten Jahren meiner Tätigkeit in Langweiler war ich zwischen Ostern und Pfingsten mit Eiern mehr als versorgt.)In Langweiler war es auch noch lange Zeit üblich, daß die Entlaßschüler dem Pastor an Ostern ihr Entlassungszeugnis vorlegten, ein Akt, der anzeigen sollte, daß man nicht mehr bereit war, der allzu strengen Autorität zu gehorchen. Der Abschluß der Festtage des Kirchenjahres ist der Dreifaltigkeitssonntag. In der Vorstellung vieler Menschen ist er der höchste Feiertag, weil hier die vorauf gegangenen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten noch einmal zusammengefasst werden. In Langweiler sollte man wegen der Höhe des Festtages "keine Nadel heben, ja, Holz ins Haus tragen ist an diesem Tage schon eine schwere Arbeit". Die "Hexennacht" wird in Langweiler ausgiebig begangen. Bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gab es den Brauch, spät in der Nacht auf dem Äppelberg ein großes Feuer anzuzünden, und dabei wurden die Hexen mit bösen und kecken Sprüchen und Liedern vertrieben. Der Mai ist in Langweiler der marianische Monat. Am 1. Mai geht nach einem Gottesdienst in der Pfarrkirche fast das ganze Dorf zu einem Familientreffen in Ortelsbruch bei Morbach. Träger dieses neu entstandenen Brauchs ist die Kolpingfamilie. An den Nachmittagen der Maisonntage sind Muttergottesandachten, an den Werktagen wird von den Frauen - wie schon erwähnt - der Rosenkranz in der Pfarrkirche gebetet. Ein Höhepunkt im Leben Langweilers ist die alljährliche Fronleichnamsprozession, neuerdings mitgestaltet durch eine Musikkapelle aus Morbach oder einem der anderen Orte des alten Dekanats Bischofsdhron. Haben viele Pfarreien heute keine echte Sakramentsprozession mehr, in Langweiler ist sie geblieben und zieht durch das ganze Dorf, das von allen - Katholiken und Protestanten - geschmückt wird. Zwar gibt es nicht mehr vier Altäre, die von Hausgemeinschaften aufgestellt werden - hier gab es früher in jedem Jahr einen regelrechten Wettbewerb um den "schönsten" Altar -, die Prozession zieht heute von der Pfarrkirche im "Oberdorf" zur Gefallenendenkstätte im "Unterdorf", wo in den Anliegen der Gemeinde gebetet und der sakramentale Segen über Land und Leute feierlich erteilt wird, und von dort zum Abschluß in die Kapelle des Hauses Marienhöh. Die Langweiler sind stolz auf ihre Prozession, und die Kirchengemeinde hat eigens in den letzten Jahren einen neuen Baldachin angeschafft. Neu ist ein Pfarrfest im Anschluß an die Fronleichnamsprozession im Hof des Hauses Marienhöh, zu dem die Schwestern des Klosters herzlich einladen. Kloster und Dorf feiern meist munter bis in den Abend.Das religiöse Brauchtum im Ablauf des Lebens.

Von dem religiösen Brauchtum, das das Leben des Einzelnen begleitet hat, ist am wenigsten übriggeblieben. Geburt und Tod ereignen sich heute bis auf wenige Ausnahmen im Krankenhaus, die Hochzeit wird fast überall in gleicher Weise gefeiert. Die kirchlichen Riten werden in allen Gemeinden in der gleichen Weise gespendet, das Brauchtum um sie herum ist dem Nivellierungstrend unserer Gesellschaft zum Opfer gefallen oder durch die Säkularisation nicht mehr verstanden und deshalb nach und nach unterlassen worden. Hinzukommt, daß viele Dörfer nicht mehr Arbeitsstätten für die Bevölkerung sind, sondern reine Schlafstätten, manchmal nicht einmal mehr Wohnstätten.

Eine weitere Besonderheit Langweilers, die nur mittelbar mit der Religionszugehörigkeit zu tun hat, ist seine Sozialstruktur. Langweiler war stets ein armes Dorf. In Langweiler gab es kaum Gemarkung, die landwirtschaftlich genutzt werden konnte. So gab es auch keine Vollerwerbslandwirte, Landwirtschaft wurde nur im Nebenerwerb betrieben. Die Männer waren vor, allem Waldarbeiter und Achatschleifer, einige waren Maurer oder Schreiner, einige arbeiteten in den umliegenden Orten ohne eigentliche Berufsausbildung. Die Frauen halfen in den wenigen kleinen Schleiferbetrieben und waren im Erholungsheim, dem heutigen Haus Marienhöh, angestellt. Manche Frauen 

betrieben auch die Nebenerwerbslandwirtschaft zusammen mit den Kindern, die damals sehr zahlreich im Dorf waren.

Diese Sozialstruktur trug dazu bei, daß sich die Langweiler "anders" fühlten als die Bewohner der übrigen Dörfer im Amt Kempfeld. Nach innen führte dieses Bewußtsein zur Ausprägung eines guten Gemeinsinns und einer echt gelebten Solidarität, nach außen ergab sich hieraus eine gewisse Abkapselung. Hinzu kam, daß Langweiler ja auch nie direkt in der Amtsvertretung seine Interessen wahrnehmen konnte. Das Aufblühen des Dorfes seit den 60erjahren zeigt aber die Kraft und Lebensfähigkeit der Langweiler Gemeinschaft, die sich jetzt in der Gemeindegründung vollendet hat.

Wichtig für Langweiler ist auch das Erholungsheim Marienhöh. Nach dem Ersten Weltkrieg als Erholungsstätten der Stadt Oberhausen gegründet, kam es schließlich 1951 an den aus Schlesien vertriebenen Orden der "Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis". Dieser fand in Langweiler eine neue Wirkungsstätte. Zunächst ist das Haus Marienhöh unter dem Orden ein Ort der Kindererholung gewesen, heute bieten die Schwestern ihr Haus als Altenerholungsheim und als Tagungsstätte für Gruppen und Verbände an. Schwestern und Dorfbewohner bilden (heute) eine lebendige Gemeinschaft, die sich vor allem in gemeinsamen Gottesdiensten, Bildungsveranstaltungen und Festen zeigt. Durch das Haus Marienhöh ist Langweiler weit über Rheinland-Pfalz hinaus als beliebter Erholungsort bekannt geworden.

Ich bin der festen Überzeugung, daß die Gründung der Gemeinde Langweiler aus den aufgezeigten Gründen richtig ist, und hoffe, daß Langweiler ein blühendes Gemeinwesen bleiben wird. Zum Schluß möchte ich noch aus den "Erinnerungen an den Hochwald" von Kaspar Hebler zitieren. Kaspar Hebler kam 1873 als 17jähriger Schulamtsaspirant nach Langweiler und schrieb 60 Jahre später:

"Mehr denn sechzig Jahre sind es her, daß man mich, den noch nicht siebzehnjährigen Schulamtsaspiranten, der selbst noch in der Ausbildung begriffen war, mit der Verwaltung einer einklassigen Schule in einem Dörfchen am Hochwald betraute (Langweiler). Wenngleich mich der beste Wille beseelte, mein Bestes zu leisten, so muß ich doch gestehen, daß es ein Unfug war, kaum erwachsene Jungens auf fünfzig und mehr Kinder, Knaben und Mädchen verschiedener Konfession, loszulassen. Na, über die Schulverhältnisse will ich mich jedoch hier nicht weiter auslassen, sondern über andere Dinge, die mich interessierten.

Zunächst das Dörfchen und seine Bewohner: Es lag am Abhang einer beackerten Anhöhe. Jenseits ein Bergabhang mit schönen Buchenbeständen (Engsberg), im Tale ein Forellenbächlein. Alle Häuser, selbst das Pfarrhaus und die Schule einstöckige Fachwerkbauten, aber malerisch am Abhang verstreut. Auf der Höhe hinter der Kirche ein Forsthaus, von welchem der Hochwald sich hinter der Schule herzog.

Die Dorfinsassen waren Holzhauer, Schieferbrecher, Dachdecker, Achatschleifer und Handwerker; einzelne trieben Ackerbau und Viehzucht und standen sich gut. Auch ein properes Wirtshaus war vorhanden. Die Dorfbewohner waren durchweg fleißige, muntere, freundliche, Leute mit etwas leichtlebigem Einschlag. Es war ein offenes Geheimnis, daß der oder jener Nebenverdienst in der Wilddieberei suchte. Wild war zahlreich vorhanden, insbesondere Rotwild. Und "Gelegenheit macht Diebe". Das Hauptvergnügen der Männer, die sich sonntags nachmittags im Wirtshaus stellten, war Scheibenschießen. Es wurde gewettet auf acht oder zehn Ringe gegen 1, 2 Glas Bier, sogar um ein Fäßchen von 15-20 Liter. Häufig kam folgende Wette: Ein junger Mann warf seine Kappe, seinen Hut, sogar seinen zusammengeballten Rock oder Kittel gegen einige Glas Bier einem Schützen in die Höhe. Wehe dem Kleidungsstück, wenn ein "Geübter" schoß - und das waren sie fast alle. Er ließ dasselbe in die Höhe bis zum sogenannten toten Punkt kommen (wo es nicht mehr steigt, sondern einen Augenblick stillsteht und dann die Abwärtsbewegung beginnt.) und bums! der geworfene Gegenstand flog etwas zurück und kam elend zerfetzt zur Erde. Hatte der Schütze nicht getroffen, so mußte er das Bier bezahlen. Traf er, dann hatte der Werfer neben dem Schaden auch noch den Spott der anderen zu tragen. Selbstverständlich lernte ich auch schießen und übte solange, bis mein Vater Wind davon bekam und mir's ernstlich verbot."2

1)Philipp de Lorenzi, Beiträge zur Geschichte sämtlicher Pfarreien der Diöcese Trier, Regierungsbezirk Trier, Trier 1887, S. 107.

2) Pfarrchronik Langweiler, Band 1

Anmerkung : Es wurde mit Absicht auf die neue Rechtschreibordnung verzichtet, damit dieser schöne Beitrag in seiner ursprünglichen Form der Nachwelt erhalten bleibt. Das von Kaspar Hebler gezeichnete Bild von Langweiler (gezeichnet 1874) versuche ich zu besorgen.                                       (Edwin Bock, im November 2002)

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